Nicht schlapp machen, liebe Kölner und Kunstfreunde. Hier ist der dritte Teil meines Interview mit der Kölner Künstlerin und Ausstellungmacherin Michelle Kluge. Das Interview fällt mittlerweile wohl unter den Begriff vintage, denn es ist aus dem März 2010. Sei's drum. Deswegen ist es nicht minder interessant. Enjoy!
Michelle, du bist nicht "nur" Künstlerin, sondern auch Sammlerin. Was sammelst du?
Bücher, CDs, Comics, Daten, DVDs, Flyer, Handtaschen, Ideen, Kataloge, Künstler, Mangas, Panini-Sammelbilder, Postkarten, Zeitschriften.
Celeste Palacios - Antifaz
Warum sammelst du?
Keine Ahnung. War schon immer so. Das Sammeln ging früh los. Auch damals schon Comics und Bücher. Früher auch Heftromane. Perry Rhodan hatte ich geliebt. Henning Roll - ein Nachbarsjunge - hatte mir die alle abgekauft. Waren sicher 300 Stück. Als kleines Kind sammelte ich Hörspielkassetten: Hui Buh, Jules Verne, Karl May und Märchen. Alle schon seit Jahrzehnten weg. Einen Teil hatte meine Mutter an meine Neffen verschenkt, einen anderen Teil hatte mein Bruder auf Trödelmärkten verramscht. Über meine großen Brüder fand ich zur Musik. Am Anfang hatte ich nur Pink Floyd gehört und ich musste alle Platten von denen haben. In den Achtzigern spielte ich Rollenspiele. Da sammelte ich alles, was zum Rollenspielen dazu gehört: Adventures, Systeme, Sets und Zubehörhefte. Alle weg. Weil ich keine Rollenspiele mehr spiele. Das Abstoßen gehörte für mich immer dazu. Mache ich auch heute noch so. Eine CD, die ich seit 5 Jahren nicht mehr höre, höre ich wohl auch in den nächsten 5 Jahren nicht mehr. Darum weg damit. Nur so bleibt eine Sammlung gesund. Meine Sammlungen sind Gebrauchsgegenstände. Ich sammle nicht, um zu sammeln. Ich weiß z. B. auch nie, wie viele CDs oder meinetwegen Mangas ich habe. Einzige Ausnahme: Die Panini-Sticker. Die sammle ich des Sammelns wegen. Wie ein Gärtner im Garten gucke ich, wie es wächst. Noch eine Ausnahme: Ich weiß immer, wie viele Miles Davis-CDs ich habe: Aktuell 25. Ein Jubiläum. Hurra.
Ennelin Reich - Quadrat & Herbst
Du machst auch selbst Kunst. Bitte beschreibe einmal, was du machst und wo man das sehen kann.
Ich mache konzeptionelle Kunst. Ich sammele Bücher, CDs, Comics, Daten, DVDs, Flyer, Kataloge, Mangas, Tageszeitungsartikel und Zeitschriften. Erst einmal für ihren primären Zweck. Ich lese, ich höre, ich sehe. Gleichzeitig sind sie Medien. Daten der Medien selektiere ich heraus und kopiere sie.
So ist eine gigantische Privatdatenbank mit vielen Themengebieten entstanden: Afrika, Deutschland, Eishockey, England, Film, Frankreich, Frauen, Frauenfußball, Fußball, Geschichte, Inseln, Köln, Japan, Jazz, Mode, New York, Paris, Spanien und Tanz. Um Ganzheit zu erlangen, recherchiere ich zu einzelnen Daten.
Am Ende werden aus der Datenbank Daten herausgeholt und in einem großen Archiv in Aktenordnern gehütet.
Daten werden aus den Medien selektiert, in die Datenbank transferiert und von der Datenbank ins Archiv verlegt. Bei dieser Arbeit werde ich fremdgesteuert. Durch ein komplexes System von Regeln, Ritualen und Spielen, die zu liebgewordenen, nicht mehr abzuschüttelnden Zwängen ausgewachsen sind. Das sich Hingeben und Erleben in diesem System empfinde ich als absolute Freiheit. Eine Freiheit, die ich außerhalb dieses Systems nicht erleben kann.
Meine künstlerische Arbeit beschreibt diese Prozesse.
Zu sehen gab es in den ersten drei Ausstellungen des Michelle Kluge meine Sammlungen.
Noch einmal Sammlungen, aber auch Datenblätter des Aktenordnerarchivs, gibt es in Juni in einer Gemeinschaftsausstellung mit Silke Bunde und Julja Schneider zu sehen. In dieser Ausstellung werden vier Gemeinschaftskunstwerke gezeigt. Es geht dabei um Kunst-Beziehungen. Wie setzt sich eine Künstlerin mit der Kunst einer anderen Künstlerin auseinander. Zu sehen wird die Ausstellung in ein Atelier in Deutz sein, in der Nähe des großartigen Gebäude 9. Die Ausstellung wird heißen “Experiment 169". Ich bin da selber sehr gespannt drauf. Es stellt für mich meine Emanzipierung vom Michelle Kluge Komplex dar.
Intensiv arbeite ich zur Zeit an meinen “Meta-Dokumenten”. Hier setzte ich mich mit Fremdsteuerung auseinander. Dazu gibt es dann vielleicht schon Ende dieses Jahres meine erste Solo-Schau.
Ralf Hennerici
Hast du einen day job oder kannst du von der Kunst leben?
Ja, ich habe einen Day Job. Ich arbeite im sozialen Bereich.
Welche Kunst begeistert dich derzeit?
Maria Eichhorn, Sylvie Fleury, Jonathan Meese, Marc Quinn. Ai Weiwei. Das sind so die Künstler aus der mehr oder weniger aktuellen Szene, die ich großartig und inspirierend finde.
Natürlich alle meine Komplexerinnen und Komplexer.
Joseph Beuys, Frida Kahlo, Pablo Picasso und Robert Rauschenberg bewundere ich, seit ich mich für Kunst begeistere.
Gibt es in der Populärkultur (sei es Musik, Film, TV, wasauchimmer) derzeit etwas oder jemanden, der dich begeistert?
Ich hänge immer ein oder zwei Monate hinterher. Ganz aktuell bin ich nie. Ich finde es auch sehr schwer, immer aktuell zu sein. Gerade was die Musik betrifft. Beim Film schaffe ich es auch nicht mehr. Ich gehe immer seltener ins Kino, gucke fast nur noch DVD. Zur Zeit höre ich relativ oft die neuen CDs von Peter Gabriel und Dominique A.
Und aktuell ich bin ich besessen von Frauenfußball. Dazu verlasse ich auch die Stadt. War für Spiele in Bad Neuenahr, Duisburg und Leverkusen. Lira Bajramaj, Annike Krahn und Inka Grings sind meine Lieblingsfußballerinnen. Ich habe mir fest vorgenommen, neben der Kunst, noch irgendwas für die Popularität des Frauenfußballs zu unternehmen. Viel ist dabei aber noch nicht herum gekommen.
Lebst du eigentlich gerne in Köln?
Definitiv: Ja. Ich mag die Leute hier. Die Kulturszene hat viel zu bieten. Köln ist eine Großstadt, aber trotzdem irgendwie gleichzeitig übersichtlich. Ich mag Köln, weil ich Geschichte liebe. Köln ist voll von Geschichte. Nur eins ist Köln nicht: Köln ist nicht schön. Berlin ist mir zu groß und zu hip. Hamburg mag ich. Bei München habe ich so meine Vorurteile, die man eben so als Rheinländer gegenüber Bayern hat.
Hella Klinkenberg - Kleefisch
Man hört häufig, dass es der Kultur in Köln nicht gut geht. Wie siehst du das? Ist Köln eine gute Stadt für Künstler?
Als Künstlerin, die am Anfang der äußeren Wahrnehmung steht, erwarte ich eh nicht viel. Die Kölner Kunstszene hat eine sehr vitale Off-Szene. In der bewege ich mich viel. Wirklich jammern hörst Du da keinen. Die, die jammern, schieben es aber eher auf die Wirtschaftskrise und auf den Euro.
Köln ist eine gute Stadt für die Kunst, weil es hier eine große, lebendige Szene gibt. Egal ob es nun die Off-Szene ist, die etablierten Galerien oder die Museumslandschaft.
Doch habe ich manchmal den Eindruck, dass das Überangebot auch manchmal den kleinen Künstlern die Luft wegnimmt.
Du bist im Netz sehr aktiv, hast eine tolle Homepage, bist auf Xing und MySpace aktiv. Sind solche Netzwerke nützlich für Künstler?
Diese Frage stelle ich mir auch unentwegt. Austausch ist wichtig. Netzwerke sind wichtig. Ganz klar. Die ganze virtuelle Netzwerkerei bringt aber nur was, wenn es irgendwann auch in die analoge Welt übergeht. Als Präsentationsflächen sind die eigene Homepage oder der MySpace-Space schlaue Werkzeuge. Und es gibt in der Kunstszene nur noch ein paar bewundernswerte Idealisten, die nicht im Netz sind.
Welche Frage habe ich vergessen zu stellen, obwohl Du sie liebend gerne beantwortet hättest? Wie lautet die Antwort?
Hier sind die Antworten, auf Fragen, die Du nicht gestellt hast: Finger weg vom Alkohol. Kunst geht auch ohne Drogen. Kunst ist nicht nur Inspiration und Leidenschaft, sondern hat auch viel mit Authentizität und Disziplin zu tun. Meine Lieblingsbands sind Motorpsycho und die Flaming Lips. Meine Lieblingsautoren sind Isabelle Allende und John Irving. Aktuell lese ich von Michael Moorcock “Der Herr der Lüfte”. Meine älteste Zeitschrift ist ein “Life”-Magazin von 1948. Die “Vogue” sammle ich seit 1987. Meine Lieblingszeitschrift ist zur Zeit die “Geo Epoche”. In den 80ern hatte ich elektronische Musik gemacht. Im Internet habe ich ein Dutzend Kurzgeschichten veröffentlicht. Ich wäre gerne politisch interessierter. Zur Zeit ist einer meiner Schwerpunkte meiner Datenbank Clint Eastwood. Ähnlich wie ‚Messi’ empfinde ich es nicht beleidigend oder abwertend, wenn man mich als Nerd bezeichnet. Für spezielle Zeitschriften pilgere ich einmal im Monat zur Bahnhofsbuchhandlung. Ich liebe die Kölner Kioske. Wenn ich nicht Kunst machen und in einem sozialen Beruf arbeiten würde, würde ich gerne in einer Bibliothek arbeiten und Bücher sortieren und einordnen.
m.
Freitag, 4. Februar 2011
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
AntwortenLöschen